FESTIVALPROGRAMM

Klangspuren Schwaz
26.09.2010 11:00 Alter: 14 yrs

SONNTAG, 26.09.

11.00 UHR, EIN SICHERHEITSSTOLLEN DER NEUEN UNTERINNTALTRASSE

Treffpunkt: 10.30 Uhr, ÖBB Parkplatz, Industriestraße 1, Vomp/Schwaz (hinter Bahnsteig 4, Bahnhof Schwaz). Um Anmeldung unter 05242 73582 wird gebeten!

TUNNEL ENDE [km 1 – km 55]
Barbara Hundegger Text, Christoph Reiserer Musik, Saxophon
Claudia Cervenca Stimme

Der Münchner Saxofonist Christoph Reiserer arbeitet an der Schnittstelle von Interpretation, Komposition, Improvisation und Klanginstallation. Mit Gestik und Mimik unterstreicht Reiserer die theatralische Komponente seiner Musikperformances. Barbara Hundegger, präzise wie scharfe Freidenkerin der spuren – Zeitung für Gegenwärtige, hat für diese Matinee in einem Sicherheitsstollen der neuen Unterinntaltrasse den Text Tunnel Ende [km 1 – km 55] geschrieben. Den verbalen Part übernimmt Claudia Cervenca.

In Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt München und ÖBB

 

Lesen Sie im Folgenden das Protokoll einer Besichtigung eines Sicherheitsstollens der Unterinntaltrasse, in dem die Matinee am 26.09. stattfinden soll. Ein Teil des Protokolls ist in der spuren – Zeitung für Gegenwärtige Ausgabe Mai erschienen.

Land der Tunnel

Protokoll einer Besichtigung von Milena Meller

Am Sonntag, dem  26. September 2010  wird im Rahmen der Klangspuren 2010 eine Matinée in einem Tunnelabschnitt der Unterinntaltrasse stattfinden: Der Saxofonist, Klanginstallateur und Komponist Christoph Reiserer (D) schreibt die Musik, die Schriftstellerin Barbara Hundegger (A) den Text.

Um das Projekt entwickeln zu können, hat das Team der Klangspuren in Person von Maria-Luise Mayr (Geschäftsführung) und Désirée Peyrer (Presse) am 3. März zu einem „Lokalaugenschein“ für Barbara Hundegger und Christoph Reiserer geladen, fotografisch begleitet von Markus Bstieler (als Architekturfotograf unter anderem Spezialist für die Baustelle der Unterinntaltrasse) und fachkundig geführt von Martin Pellizzari (Leiter des ÖBB-Projektinformationsmanagments):

Man trifft sich in den Räumlichkeiten der Projektleitung Vomp der ÖBB-Infrastruktur AG. Gelbe Gummistiefel, Helme, reflektierende Überjacken werden ausgeteilt, dann fährt man in zwei Fahrzeugen über die Autobahn und bei einer der Baustellenausfahrten auf das Tunnelbaugelände der Hauptbaumaßnahme H8, zum Rettungsschacht 2 des Tunnels Jenbach.

Bestandsstrecken und Schachtkopfgebäude

[im Auto]

Christoph Reiserer: Das mit dem Tunnel find ich schon sehr spannend, das ist ein riesiges aufregendes Projekt…

Barbara Hundegger: Ja, ich bin immer sehr sehr froh, wenn Projekte angetragen werden, die ein bisserl ungewöhnliche Spielorte haben. Denn, gerade bei der Literatur: Dieses ewig gleiche Setting, von Pfaffenhofen bis Bratislava: Tisch, Lampe, Stuhl, Wasserglas. Mir schlafen oft selber schon die Füsse ein, wenn ich diese Szenerie sehe – es ist die Wahrheit! Es ist jedenfalls toll, dass wir solch eine Location bespielen können – ich bin ja soundso Baustellen-Fan seit frühester Kindheit!

[…]

Martin Pellizzari: […] Inzwischen kann man im Tunnel von Baumkirchen bis Stans fahren. Wir haben letztes Frühjahr die gesamten Haupvortriebsarbeiten abgeschlossen. Der Tunnel verläuft dort durch den Berg, hinter den letzten Häusern unterm Wald und zieht da unter die Autobahn. Wir sind unter Talbodenniveau.

Martin Pellizzari: Wir sehen dort ein Schachtkopfgebäude und ein Betriebsgebäude, darunter liegt der Tunnel, in ungefähr dreißig Meter Tiefe. Da geht ein Rettungs- oder Erkundungsstollen hinein – d. h.: Zuerst war das ein Erkundungs-, jetzt ist es ein Rettungsstollen. Der Tunnel zieht hier unter uns durch, die Bagger, die dort am Tunnel stehen, bereiten alles so vor, dass die letzten Überreste von der Autobahnverschwenkung wieder begrünt werden können. Dann läuft der Tunnel  längsseits, rechterhand der Autobahn, dort befindet sich wieder ein Schachtkopfgebäude, wo man ebenfalls hinunter kommt […] Wir sind Teil der Zulaufstrecke Nord, zum Brennerbasistunnel muss man den Verkehr erst hinbringen.

Barbara Hundegger: Mit Verkehr zubringen meinst du Zugverkehr, oder?

Martin Pellizari: Ja. Das ist das Portal, da kommen wir herauf. Da müssen wir dann mit der Bestandsstrecke verknüpfen. […] Der Leiter der Bauaufsicht meint, dass der Schacht, den wir jetzt besichtigen werden, am 26. September gut brauchbar sein wird – das ist immer eine Frage des Bauablaufes, manchmal verschiebt sich das ein bisschen.

[…]

Schlafende Baustellen

Maria-Luise Mayr: Diese Betonteile, die da gelegen sind: aus denen ist der Tunnel zusammengesetzt…

Martin Pellizzari: Ja, die sind nicht einmal verschraubt. Der Aussendruck ist so stark, dass es den Ring zusammen drückt.

MM: Ich habe das einmal ganz genau gesehen wie das alles funktioniert in der „Sendung mit der Maus“!

Martin Pellizzari: Genau, diese Sendung mit der Maus kenne ich auch. Wie wollt ihr hinfahren: untertägig oder obertägig?

Maria-Luise Mayr: Untertägig…

[Wir fahren über eine Rampe in den Tunnel hinein, in dem gearbeitet wird]

Christoph Reiserer: Wenn kein Gegenverkehr zu erwarten ist […] Ich stelle mir vor, dass es für das Publikum schon spannend ist, da überhaupt erst einmal rein zu kommen – wir sollten das mit bedenken: Dass nicht einfach alle wie zu einem Konzertsaal rein gefahren werden, sondern dass man langsam ankommen kann und sich dadurch die Spannung steigert.

Barbara Hundegger: Ja, unbedingt. Denn an solch einem Ort sind die Leute sicherlich damit beschäftigt, erst einmal zu schaun, wohin sie da eigentlich geführt worden sind!

[…]

Maria-Luise Mayr: Da riecht es so komisch.

Martin Pellizzari: Das ist der Beton, der bindet ab. Das ist ein ganz eigener Geruch, mit dem ich sehr viel Positives verbinde.

[Wir kommen zu einem Schachteingang, der jedoch verschlossen ist und müssen umdrehen.]

Maria-Luise Mayr: Da wir diesen Teil hier nicht verwenden können, weil es hier immer Baustellenverkehr gibt, haben wir uns einen Rettungsschacht ausgesucht.

Christoph Reiserer: Heißt das, dass hier ständig solch ein Verkehr herrscht – auch während der Veranstaltung? Arbeiten die Tag und Nacht?

Martin Pellizzari: Wie es im September genau aussehen wird, ist momentan schwer zu sagen.

Maria-Luise Mayr: Aber man muss davon ausgehen, dass hier Autos durch fahren werden.

Martin Pellizzari: Genau. Oder aber: Sie sind so brav und schnell – und das Konzert wird ja an einem Sonntag stattfinden – dass sie sagen: Wir brauchen diesen Sonntag nicht. Die Arbeiter haben ja auch gerne einmal frei. Normalerweise sind wir unter der Erdoberfläche vierundzwanzig Stunden am Tag, es wird rund um die Uhr gebaut. Wenn aber ein Guthaben eingefahren wurde, die Arbeiten sehr erfolgreich und schnell voran gekommen sind, dann kann es durchaus auch sein, dass die Baustelle völlig ruhig ist. Die Betonarbeiten, wie sie jetzt im Gange sind, werden viel weiter fortgeschritten sein und so ist es möglich, dass nur gelegentlich ein Auto durch fahren wird. Dieses Geräusch kann es allerdings sogar bei einer schlafenden Baustelle hin und wieder geben.

Christoph Reiserer: Als der Anruf kam, habe ich mir überlegt, dass wir eigentlich parallel in Italien auch noch etwas machen müssten – also an den beiden Punkten, an denen der Tunnel beginnt beziehungsweise endet.

Martin Pellizzari: Das wäre dann der Basistunnel ...

Barbara Hundegger: Ja, also auch in Franzensfeste – zumindest beim Folgeauftrag dann… Hast du schon etwas im Kopf, was für Art von Musik du hier machen möchtest?

Christoph Reiserer: Als Komponist kann ich Verschiedenes machen, als Saxofonist aber habe ich meinen Stil, vor allem solo.

Barbara Hundegger: Du wirst aber extra etwas komponieren / konzipieren?

Christoph Reiserer: Ja, unbedingt.

Unter Tag

[Wir sind beim Einstieg zum Rettungsschacht des Sicherheitsstollen angekommen, verlassen die Autos und gelangen durch eine Tür in das Stiegenhaus des Schachtes.]

Maria-Luise Mayr: Als ich das erste Mal hier war, ist mir an dieser Stelle das Saxofon eingefallen… Das Besondere ist, dass Ihr mich, wenn ich da hinunter und unten auf den anderen Ausgang zu gehe, hier heroben immer noch genauso gut hört wie jetzt, wenn ich etwas sage. Man hört hier auch schon die Autos im Tunnel bei der Baustelle.

Barbara Hundegger: Das finde ich super, dass es so ein Grundgeräusch gibt: Das ist Tirol! Nicht der Landesfestumzug! DAS ist Tirol!

Christoph Reiserer: Könnten wir das nicht als Landeshymne nehmen…

Barbara Hundegger: Man sollte eine Tunnel-Hymne schreiben…

Martin Pellizzari: Ich bin ja sowieso für eine Umtextung der Bundeshymne – denn wenn man von Tirol nach Vorarlberg fährt, dann kann man irgendwann nach „Land der Töchter“ auch noch „Land der Tunnel“ sagen.

[…]

[Sehr lautes, wummernd-vibrierendes Dröhnen]

Barbara Hundegger: Was ist das jetzt für ein Geräusch?

Martin Pellizzari: Das ist ein Rüttler, für den Beton […] Aber so intensiv wie momentan werden wir das Geräusch nicht mehr haben – pro Tag werden vierundzwanzig Meter gemacht. Im September ist das also wahrscheinlich schon längst abgeschlossen.

Dieser Schacht dient übrigens zum Verlassen des Tunnels, sollte ein Störfall eintreten. Wenn ein Zug da drinnen liegen bleibt die Lok zum Beispiel nicht funktioniert und man beschliesst, den Zug zu evakuieren, dann gibt es jeweils einen maximalen Fluchtweg von zweihundertfünfzig Metern. Diese Tür ist als Sicherheitstür ausgeführt und Teil einer Schleuse: Zwischen erster und zweiter Tür besteht ein leichter Überdruck, sodass eine etwaige Verqualmung nicht in den Schacht gelangen kann. So wird den Menschen zunächst eine sichere Zone geboten, um in weiterer Folge den Tunnel verlassen zu können – über dieses Stiegenhaus hinauf auf einen kleinen Rettungsplatz.

[…]

Christoph Reiserer: Also dieser Teil wäre der Konzertraum?

Martin Pellizzari: Du kannst gerne auch den Schacht bespielen, nur halt bitte nicht herunter purzeln!

Christoph Reiserer: Ich habe schon Konzerte in hohen Türmen gemacht.

Maria-Luise Mayr: Und er lebt noch.

Christoph Reiserer: Damals im Turm habe ich Lautsprecher hoch ziehen lassen, wobei das Publikum sich unten befand und das Konzert sich immer weiter nach oben bewegte, bis es ausserhalb des Turmes endete und die Musiker auf den Dächern positioniert waren. Ich hatte extra eine Vorrichtung bauen lassen, um die Lautsprecher hinauf zu ziehen. – Hier ist es nicht so tief, aber viel besser…

Licht im Tunnel

Barbara Hundegger: Da explodiert mir das Hirn – was man da alles machen könnte! Das Licht, die Zugänge, die Bespielung, die Auflösung der klassischen Lesesituation mit einer ganz anders gearteten Stimm- oder Textbespielung!

Ich habe ja schon lange die Idee einer „dark room poetry“! Wenn man hier etwa die Wände beschriften und mit Schwarzlicht arbeiten könnte, sodass dann nur die Texte leuchten würden… Oder wenn man nur die Fugen mit Licht auslegen würde, sodass man einen ganz speziellen Lichteffekt hätte, wenn man herein käme, das wäre großartig!

[Christoph Reiserer spielt einige Töne mit dem Saxofon, die einen extrem langen Nachhall haben.]

Barbara Hundegger: Wahnsinn…

MM: Da könntest Du nur alle fünf Minuten einen Ton spielen und es würde reichen…

Christoph Reiserer: Stimmt…. Man muss halt aufpassen, dass es nicht zu esoterisch wird…aber das geht schon.

Barbara Hundegger: Das kommt immer darauf an, wie man es macht. Man könnte es auch ganz esoterisch machen. Wenn man mit verschiedenen Licht-Effekten arbeitet, beeinflusst das den Raum total.

Christoph Reiserer: Ich arbeite viel mit durchgehenden Klängen und Zirkularatmung – das heißt, das wäre hier dann eigentlich ein Dauerklang. Aber ich kann auch anders arbeiten, das muss ich mir noch überlegen.

Barbara Hundegger: Man müsste jedenfalls auch sehr sparsam mit Text umgehen.

[Christoph Reiserer spielt lange Einzeltöne, Multiphonics, sich überschlagende Triolenloops, enge Linien, Triller… Barbar Hundegger und er sind für die Fotoserie von Markus Bstieler postiert, der die beiden sowohl rezitierend als auch spielend fotografieren will.]

Barbara Hundegger: Ich soll ein Gedicht aufsagen, seid ihr wahnsinnig! Land der Berge, Land am Strome, Land der Äcker, Land der Dome…hört man mich?... wie geht’s weiter… Land der Hämmer, zukunftsreich. Heimat bist du großer Tunnel!

[Dann rezitiert Barbara Hundegger aus einem Text der Klangspuren:]

Aufbauen braucht Jahrzehnte…Ich kann mir ein Weiterleben, ein Weiterexistieren der Menscheit ohne Musik überhaupt nicht vorstellen, sagt Heinz Holliger…

[…]

[Die Töne des Saxofons ziehen sich wie lange Klangfäden und -bänder durch den Stollen.]

Barbara Hundegger: […] wie Sprachinseln, wo du, wenn du durch gehst, immer wieder andere Sprachfetzen hörst. Der Text muss ja nicht das Ganze bespielen[…] Dieser Ort springt mich an, über so etwas wie „dark room poetry“ nachzudenken […]

Maria-Luise Mayr: Das hört man, wenn man hinauf geht, glasklar.

Christoph Reiserer: Sehr gut. Damit kann man arbeiten: Dass es gleich schon spannend ist, man zuerst nur etwas hört und dann langsam vor dringt.

Maria-Luise Mayr: Genauso hatte ich mir das vorgestellt: Dass das Publikum bereits, wenn es hereinkommt, Teil des Konzertes ist. Das heißt, dass die Leute dort oben rein kommen, über die Stiegen runter und hier dann raus gehen sollten. […]

[Unterhalten sich über das letztjährige Klangspurenprojekt des Wandelkonzertes mit Musik von Judith Unterpertinger und einem Libretto von Barbara Hundegger, bei dem das Publikum in einer Kirche und einem Kreuzgang frei herum gehen oder verweilen konnte.]

Barbara Hundegger: Hier ist das anders strukturiert. Es ist viel linearer anzulegen hier.

Désirée Peyrer: Man muss hier einen anderen Raum denken. Das Begehen funktioniert hier nur sehr bedingt – es wird viel frontaler sein.

Barbara Hundegger: Ja, man muss die Richtung, in der man diesen Raum hier durchschreitet, bei der Inszenierung mit bedenken.

[…]

Christoph Reiserer: Hast du eine Vorstellung von Lautsprechern in Zusammenhang mit der Sprache?

Barbara Hundegger: Im Augenblick, ja.

Christoph Reiserer:…an verschiedenen Positionen…

Barbara Hundegger: Ja. Wobei man das auch mit verschiedenen Sprechern und Sprecherinnen auflösen könnte… Da herinnen würden mir allerdings Lautsprecher besser gefallen als reale Personen.

Maria-Luise Mayr: Die würdest du dann nacheinander schalten, oder?  - Sodass nie alle gleichzeitig aktiv sind, denn das würde Überlagerungen ergeben, wodurch man nichts mehr verstehen würde.

Barbara Hundegger: Es wäre nichts, das auf einer Fläche spielt, sondern es müsste – und das ist nur ein Behelfswort – eine „logische“ Entwicklung des Textes geben. Ich kann mir das gut vorstellen: Dass dann nur auf einer Insel jeweils ein Text kommt. – Vielleicht löst man es auch nur schriftlich auf, sodass es die Stimme im eigentlichen Sinne gar nicht gibt. […]  Wenn es Lautsprecher gäbe, dann könnten sich die Leute bei der Textinsel, die gerade aktiviert ist, aufhalten und zuhorchen… ich habe mir sogar schon vorgestellt, dass es dunkel ist und jeweils nur zwei Meter Licht frei gegeben werden…

Désirée Peyrer: Das könnte man sicherheitstechnisch schon irgendwie lösen.

Das Unbewusste und das Kreative

MM: Die Akustik hier ergibt von vorneherein Effekte, die man sonst mit technischen Mitteln erzeugen würde.

Maria-Luise Mayr: Das ist es auch, was es für das Publikum besonders interessant macht: Diesen Effekt erreicht man sonst immer nur dann, wenn man beispielsweise viele Lautsprecher aufhängt… hier braucht man das alles nicht!

Christoph Reiserer: Genau. Deshalb denke ich auch, dass ich hier keine Elektronik einsetzen, sondern nur ganz pur mit dem Saxofon arbeiten werde, da hier schon so viel drin steckt! Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass man ein Mikrofon hat und einen Lautsprecher am anderen Ende postiert und damit spielt – sodass man hier den Eindruck von der anderen Seite zeitverzögert wahrnimmt. […] Das wäre keine Verfremdung, sondern etwas ganz Einfaches – der pure Klang unter Einbeziehung der Entfernung. Dass man also mit der Entfernung spielt, den Klang woanders abspielt – am besten natürlich eigentlich in Italien…

Barbara Hundegger: Ich habe ja schon gesagt, wir brauchen einen Folgeauftrag, wenn Franzensfeste fertig ist!

[…]

[Barbara Hundegger soll für die Fotoserie wieder etwas lesen, während Christoph Reiserer spielt.]

Barbara Hundegger: […] Das Unbewusste wirkt ständig und treibt unentwegt das Kreative an. […]

Ober Tag

[Schließlich sind alle wieder aus dem Schacht gestiegen und haben sich auf dem Platz vor dem Einstieg versammelt.]

Barbara Hundegger: Es ist ein toller Ort mit vielen Möglichkeiten! Für mich ist momentan eher diese Vielfalt an Möglichkeiten das Problem! Wobei sich ein paar Dinge geradezu aufdrängen – auf alle Fälle das Ausnützen der Akustik. […] Der Ton bleibt in solch einer Klarheit erhalten, auch wenn man sich weit entfernt! Dazu kommt der visuelle Eindruck, den ich im Vorhinein gar nicht so bedacht hatte, der mir jetzt aber gerade sehr im Kopf umgeht: Wie man das Visuelle noch mehr einbeziehen könnte.

MM: Christoph, arbeitest du nicht auch mit Video?

Christoph Reiserer: Ja, ich habe da eine Arbeit gemacht, bei der ich eine kleine Überwachungskamera im Saxofon montiert habe. Das Saxofon ist ja wie ein Tunnel, eine Röhre. Es hat sich da gleichsam eine „visuelle Musik“ entwickelt: Das Optische korrespondiert dabei ja mit der Musik. Man erlebt das Öffnen und Schließen der Klappen wie Lichtblitze, oder eigentlich noch schöner! Es ist poetisch, es ergeben sich abstrakte Lichtbewegungen. Man muss sich das überlegen, ob man das hier mit einbeziehen könnte.

[…]

Barbara Hundegger: Vielleicht wäre der Platz unter der Treppe eine tolle Location für die Projektion des Videos?

Christoph Reiserer: Ja, im Turm habe ich das zum ersten Mal so gemacht. Andererseits muss man so etwas auch nicht wiederholen.

Barbara Hundegger: Wenn es sich gut anbietet und passt, dann habe ich nichts gegen Wiederholungen. […]

[ Wieder im Auto zurück zur Projektleitung Vomp der ÖBB-Infrastruktur AG:]

Christoph Reiserer: Wie viele Leute arbeiten hier eigentlich?

Martin Pellizzari: Das ist sehr unterschiedlich – je nach Bauphase. Momentan, im Innenausbau, haben wir dreissig bis vierzig Mann auf der Baustelle […]

Jetzt gerade wird das Personal in der eisenbahntechnischen Ausrüstung stark ausgebaut. Ab etwa Mitte April sind wir dann wieder vierundzwanzig Stunden da mit zweihundertfünfzig Ausrüstern. Am Höhepunkt der Rohbauarbeiten hatten wir zwischen Kundl und Baumkirchen etwa eintausendfünfhundert Leute da. Solche Baustellen wie diese haben wir zwei, außerdem zwei intakte Rohbaulose, wo wir Tunnel in offener Bauweise bzw. obertägige Strecke bauen. […]

Land der Tunnel

von Milena Meller

Am Sonntag, dem 26. September 2010 wird im Rahmen der Klangspuren 2010 eine Matinée in einem Tunnelabschnitt der Unterinntaltrasse stattfinden: Der Saxofonist, Klanginstallateur und Komponist Christoph Reiserer (D) schreibt die Musik, die Schriftstellerin Barbara Hundegger (A) den Text.Um das Projekt entwickeln zu können, hat das Team der Klangspuren in Person von Maria-Luise Mayr (Geschäftsführung) und Désirée Peyrer (Presse) am 3. März zu einem „Lokalaugenschein“ für Barbara Hundegger und Christoph Reiserer geladen, fotografisch begleitet von Markus Bstieler (als Architekturfotograf unter anderem Spezialist für die Baustelle der Unterinntaltrasse) und fachkundig geführt von Martin Pellizzari (Leiter des ÖBB-Projektinformationsmanagments):

Man trifft sich in den Räumlichkeiten der Projektleitung Vomp der ÖBB-Infrastruktur AG. Gelbe Gummistiefel, Helme, reflektierende Überjacken werden ausgeteilt, dann fährt man in zwei Fahrzeugen über die Autobahn und bei einer der Baustellenausfahrten auf das Tunnelbaugelände der Hauptbaumaßnahme H8, zum Rettungsschacht 2 des Tunnels Jenbach. 
[im Auto]
Christoph Reiserer: Das mit dem Tunnel find ich schon sehr spannend, das ist ein riesiges aufregendes Projekt. 
Barbara Hundegger: Ja, ich bin immer sehr sehr froh, wenn Projekte angetragen werden, die ein bisserl ungewöhnliche Spielorte haben. Denn, gerade bei der Literatur: Dieses ewig gleiche Setting, von Pfaffenhofen bis Bratislava: Tisch, Lampe, Stuhl, Wasserglas. Mir schlafen oft selber schon die Füsse ein, wenn ich diese Szenerie sehe – es ist die Wahrheit! Es ist jedenfalls toll, dass wir solch eine Location bespielen können – ich bin ja soundso Baustellen-Fan seit frühester Kindheit!

[…]

Lesen Sie das gesamte Protokoll der Tunnelbesichtigung hier


Rubrik: events Festival zeitg. musik